grbeeinträchtigt die kleinschreibung das satzbild wesentlich ?
von den gegnern der kleinschreibung wird als hauptargument ins feld geführt, daß sie unlesbar sei oder jedenfalls sehr schwer lesbar, ganz besonders aber in der fraktur . nach ihrer ansicht sind die großbuchstaben ruhepunkte, die das lesen erleichtern, weil im deutschen zu viele wortungetüme und bandwurmsätze vorkommen . wer sich ein wenig um diese dinge gekümmert hat, der wird wissen, daß alle vernünftigen menschen zu allen zeiten gegen die wortungetüme und gegen die bandwurmsätze zu felde gezogen sind . nichts liegt also näher, als bei der erörterung der frage der kleinschreibung auch zugleich diese dinge mit zu erledigen. von einem prominenten gegner der kleinschreibung wurde behauptet: »unsere ganze kunst zu lesen beruht ja nur auf der in jahrzehntelanger gewöhnung erfolgten einprägung zahlreicher sehr charakteristischer wortbilder .« mit der gewöhnung an die großbuchstaben, die sich historisch entwickelt haben, wird auch ihre beibehaltung in der heutigen zeit zu begründen versucht . wenn dagegen die anhänger der kleinschreibung darauf hinweisen, daß es nur geringer zeit bedürfe, um unser volk an die kleinschreibung zu gewöhnen, dann wird ihnen das von den gegnern arg verübelt .wo in jetziger zeit drucksachen oder anzeigen in kleinschrift auftauchen, fallen sie unbedingt auf; der beste beweis dafür, daß im allgemeinen die gewöhnung an althergebrachtes überall fest verwurzelt ist . wenn behauptet worden ist, daß bei der allgemeinen durchführung der kleinschreibung drucksachen in großschreibung besonders auffallen würden, so kann man diese ansicht gelten lassen, aber mit folgender einschränkung: eine drucksache in kleinschreibung wirkt in der heutigen zeit durch aus modern, während eine drucksache in großschreibung bei allgemeiner einführung der kleinschrift etwa so wirken würde, als wenn eine dame mit puderperücke und reifrock auf dem sportplatz zum tennisspielen antritt . das eben ist der grundsätzliche unterschied !
die schriftgießerei ludwig & mayer in frankfurt am main brachte jetzt eine modern aufgemachte probe ihrer erbar-grotesk heraus. die einleitenden worte zu diesem probeheft sind in kleinschrift gesetzt und illustriert durch eine gegenüberstellung alter und neuer bauten, alter und neuer kleidung, alter und neuer schrift . zu den bauten ist gesagt : »das gesicht unserer zeit ist klare sachlichkeit; die neuen bauformen sind nicht mehr architektur im alten sinne: konstruktion plus fassade . die zweckmäßigkeit schafft die gesetze des schönen .« bei den kleidern ist gesagt : »das neue kleid ist nicht mehr kostüm .« und bei der schrift stehen die worte : »die neue schrift ist keine kalligraphie .« als illustration dazu dient das versal-alphabet einer verzierten kanzleischrift, das zum teil überdruckt wurde mit versalien der erbar-grotesk . zusammenfassend stehen die worte : »häuser, kleider, schriften werden in ihrer form durch die einfachsten elemente bestimmt .« diese worte in kleinschrift sind das programm der neuen richtung .
die modernen typographen sind schon seit einigen jahren dahintergekommen, daß durch die verwendung der minuskelschriften sich ganz andere gestaltungsmöglichkeiten ergeben . das gilt zunächst zwar nur für das gebiet der akzidenz- und der reklamedrucksache, wozu auch die anzeige gehört . die buchtypographie blieb von der kleinschriftbewegung bisher fast ebenso verschont wie von der modernen typographie . wiederholt sind wohl entsprechende versuche unternommen worden, ohne indessen zu befriedigenden ergebnissen zu führen . die gegner der neuen typographie, die meistens auch gleichzeitig gegner der kleinschrift sind, frohlockten natürlich über diese mißlungenen versuche . aber nur aus versuchen kann man lernen . viele anhänger der kleinschriftbewegung sind der auffassung, daß die kleinschrift im buche verwendet werden könnte, ohne viel an der buchtypographie im großen und ganzen zu ändern. diese ansicht hat sicherlich etwas für sich, besonders wenn man die kleinschriftbewegung lediglich vom standpunkte der rechtschreibung aus betrachtet; denn von dort aus gesehen tritt vor allem die gewöhnung in den vordergrund . in dieser beziehung fehlt es bisher an erfahrungen, weil noch zu wenige beispiele vorhanden sind, die uns mit der kleinschrift enger vertraut machen könnten . vereinzelte aufsätze können nur wenig zu der gewöhnung beitragen . die bücher, die bisher in kleinschrift erschienen sind, behandelten meistens themen, die die allgemeinheit wenig angingen . daß ein roman in kleinschreibung erschienen wäre, ist bis jetzt nicht bekannt geworden . die wenigen dichter, die ihre arbeiten in kleinschrift drucken ließen, sind nicht genügend ins volk gedrungen . der gewöhnung an die kleinschrift sind bisher die wege nicht geebnet worden . im gegenteil, alle möglichen hemmnisse stellten sich ihr in den weg, ganz abgesehen von dem eifrigen bestreben der gegner der kleinschreibung, sie unter allen umständen lächerlich zu machen und in mißkredit zu bringen .
wenn dennoch die kleinschriftbewegung in deutschland sowohl wie in den anderen kulturländern von jahr zu jahr an umfang zugenommen hat, so ist das darauf zurückzuführen, daß die erkenntnis von der zweckmäßigkeit und von den großen vorteilen der kleinschrift immer mehr denkenden menschen aufgegangen ist . daß sich nun auch viele mitglieder des bildungsverbandes in deutschland dieser bewegung anschlossen, erscheint ganz natürlich, wenn man weiß, daß eigentlich die buchdrucker es gewesen sind, die in früheren zeiten wesentlich mit beigetragen haben zur einführung der versalien in die minuskelschrift . zum schmücken der seiten benutzten die buchdrucker genau so großbuchstaben, wie das die mönche vor ihnen getan hatten .
die frage, die in der überschrift gestellt wurde, ist damit bis zu einem gewissen teile beantwortet; allerdings in negativem sinne . wenn wir heute darangehen, die großbuchstaben für den glatten text auszuschalten, so tun wir es gerade aus dem entgegengesetzten grunde, wie die alten buchdrucker es taten, nämlich: um wieder klarheit in das seitenbild hineinzubringen, die leser der »typographischen mitteilungen« mögen sich von der wirkung der kleinschrift auf das satzbild auf den beiden nächsten seiten selbst überzeugen . diese beispiele geben auch eine gute vergleichsmöglichkeit zwischen fraktur und antiqua, zwischen unzialschrift und moderner grotesk . berücksichtigt werden kann auch der wunsch vieler anhänger der kleinschriftbewegung, die ohne versalien für satz- und namenanfünge nicht glauben auskommen zu können . wenn eine reform der rechtschreibung im letztgenannten sinne zunächst durchgeführt werden könnte, so wäre sicherlich schon viel gewonnen und unserm volke ein nicht zu unterschätzender dienst erwiesen .
die beispiele oben zeigen die einwirkung der versalien auf das satzbild in fraktur und antiqua, und zwar in der bisherigen anwendung im gegensatz zur kleinschrift
die beispiele unten geben den kollegen eine vergleichsmöglichkeit zweier wesensverschiedener einalphabetschriften, und zwar im besonderen in bezug auf lesbarkeit