werbwart weidenmüller, berlin-pankowzehn jahre kleinschreiben
zehn jahre ist es her, daß uns im arbeitskreis der »werbe« das schriftbuch porstmanns »sprache und schrift« zur pflicht machte, auch in der buchstabenform unseres schreibwerks für technische zweckmäßigkeiten einzutreten - nicht nur mit lauten worten in öffentlichen versammlungen, auch mit der stillen täglichen tat in der tagesarbeit . wir schrieben also von einem tage an alle geschäftsbriefe ohne umschalten und ohne großbuchstaben - und bald hatten unsere maschinen das großschreiben ganz verlernt - und auch die federn gewöhnten sich unmerklich ohne zwang und zureden an die geeinfachten wort- und zeilenbilder. nach erstaunlich kurzer zeit fühlten wir groß geschriebene wörter als schreibfehler in der finger- und federspitze . und natürlich ließen wir nun auch alles in einformschrift ohne großbuchstaben setzen und drucken, was aus unserer kasse bezahlt wurde .und wie verhielten sich nun die anderen leute zu unserm kleinschreiben ? niemand blieb dabei gleichgültig und gelassen, jeder sagte stets laut und klar seine meinung zu der änderung im schriftbild, die doch eigentlich fast unmerklich klein und nebensächlich scheint . die kinder waren dabei, wie oft, die sachlichsten und klügsten . sie sagten: ei fein, da gibt es weniger rote kreuze im aufsatz ! worüber dann vater und mutter und alle erwachsenen sehr erhaben oder auch sehr entrüstet lächelten ! die erwachsenen spalteten sich stets in zwei gruppen, die sofort im angriff gegeneinander gingen . die meisten lehnten die ungewohnte schreibweise sofort mit sehr heftigen worten ab, ohne auch nur einen augenblick über ihren grund, ihren zweck, ihre vorteile nachzudenken . es war immer eine abwehr aus sehr dunklen tiefen des lebens- und sprachgefühls heraus . immer wieder mußten wir staunend erleben, daß die menschen diese kleine äußerlichkeit des schriftbildes als einen wesentlichen ausdruck ihrer denk- und lebensart empfinden und mit starken unlust- und abwehrgefühlen darauf antworteten . diese tiefgegründete unlust erklärten sich die meisten so, als ob die stark gemehrte anstrengung beim lesen daran schuld wäre . man konnte aber immer unschwer feststellen, daß zum beispiel drahtmeldungen der post ganz ohne solche unlust- und anstrengungsgefühle gelesen wurden, und bei allen, die dann auch nur wenige tage übung beim lesen dieser geeinfachten wortbilder hatten, schwand der schein der anstrengung ausnahmslos sehr schnell und für immer . und vielen geht es dann ebenso wie uns: das schriftbild ohne großbuchstaben ist ihrem sprach- und schriftgefühl das lebensvollere, das angenehmere, das vertrautere, so daß man zum beispiel in einer ausstellung sofort wieder aufgemuntert genauer hinsieht, wenn das auge auf ein schild ohne großbuchstaben kommt . wir haben es nuch nicht erlebt, daß jemand zum doppelformschreiben zurückgeht, wenn er sich erst auf das einformschreiben eingelesen und eingeschrieben hat .
gab es denn aber überhaupt leute, die dem einformschreiben sofort ohne abwehr und unlust zustimmten ? leute, die sagten: das ist ja das einzig sachlich richtige und zweckmäßige ? leute, die sich von unserm beispiel anstecken ließen ? o gewiß ! alle leute, deren technische schulung wirklich bis in tiefere gefuhlsschichten gegründet ist, erklärten das kleinschreiben beim ersten kennenlernen für einen notwendigen ausdruck technisch gerichteten zeitgefühls . und die lein geschriebenen briefe in unsrer post mehrten sich von jahr zu jahr . man kann nicht ernstlich für neue sachlichkeit in der berufsarbeit, im lebensstil, in der fachwissenschaftlichen nutzung der sprache einstehen und gleichzeitig ein schriftbild in einformbuchstaben als bolschewikenfrevel verdammen, wenigstens nicht mehr, wenn man sich den unabweisbaren zusammenhang, die tiefere innere verwurzelung vo» lebensstil und wortbildform bewußt gemacht hat . und für die jungen kommt dann auch noch etwas von dem reiz dazu, den es hat, unter dem vortrupp neuer form- und gedankenbildung zu sein, und das allen sichtbar durch ein sinnfälliges zeichen erkennen zu lassen .
dieses einwurzeln äußerer ausdrucksformen in den tiefen des lebensgefühls hat uns denn auch gezwungen, lieber so manchen überflüssigen brief an schriftleiter, an kaufleute und an allerlei übergescheite frager zu schreiben, als daß wir zu dem technisch zurückgebliebenen zweiformschreiben zurückgegangen würen, das wir von jahr zu jahr mehr als einen hängengebliebenen schnörkel abgesunkener, vortechnischer zeiten empfinden .