die kleinschriftbewegung

typographische mitteilungen, zeitschrift des bildungsverbandes der deutschen buchdrucker, berlin, 28. jahrgang, mai 1931, seite 141
paul freier, berlin

die kleinschrift als wirtschaftlicher faktor

ein großer teil der befürworter der kleinschrift, einschrift oder gleichschrift (wie das kind heißen soll, spielt jetzt keine rolle: nennen wir es kleinschrift) geht mit den begriffen vereinfachung und ersparnis sehr leichtfertig um . daß heute im zeitalter der setzmaschine, wo jeder buchstabe in einem kaum meßbaren zeitpunkt auf der tastatur angeschlagen wird, nicht mehr herauszuholen ist, wird allseitig bekannt sein . die wege auf dem tastbrett sind so gering, daß in puncto satzzeit an der setzmaschine keinerlei ersparnisse gemacht werden können . werksatz mit der hand braucht wohl nicht in erwähnung gebracht zu werden, ist er doch heute schon nicht mehr zeitgemäß . bleibt der akzidenzsatz . melde sich jemand, der einen briefkopf, rechnung, eine karte oder eine sonstige merkantilarbeit in kleinschrift schneller setzt als nach der jetzt gültigen rechtschreibung . eine merkbare beschleunigung oder arbeitszeitersparnis kommt bei der satzherstellung wohl kaum in frage . ich glaube auch nicht, daß anhänger der kleinschrift aus unsern kreisen dies als förderungsgründe ansehen können. es können also die ersparnisse nur in den zur satzherstellung benötigten materialien liegen . es käme unser schriftmaterial in frage . angenommen, sämtliche versalien fallen fort, so würden wir bei 50 kg schrift 7 kg versalien sparen; das sind nämlich die gewichte des deutschen normalgießzettels . genau gerechnet sparen wir aber keine 7 kg, denn für die ausfallenden versalien müssen wir ja dann kleinbuchstaben verwenden . rechnen wir für den ausfall 3 kg kleinbuchstaben hinzu, so ergibt die kleinschrift eine schriftersparnis von 4 kg bei 50 kg . die rechnung wurde aber ohne den wirt gemacht . zum glück für unsere kollegen werden bei uns nicht nur drucksachen in deutscher sprache, sondern auch in fremden sprachen hergestellt . angenommen, es ist ein prospekt in englischer sprache herzustellen . wo nehmen wir die versalien her, um eine der englischen rechtschreibung entsprechende arbeit herzustellen ? oder sollen wir den engländern eine neue rechtschreibung aufzwingen ? ich glaube, es wäre vergebliche liebesmühe . der englische gießzettel für 50kg korpus antiqua enthält ungeführ 6,5 kg versalien . hätten wir in deutschland reinen minuskelsatz, so hätten wir zu der benötigten schriftmenge 13 v. h. versalien als defekte nachzubestellen . ob das eine ersparnis ist, mögen andere beurteilen. sollte unsere rechtschreibung der englischen angepaßt werden, so käme nur eine ersparnis von 0,5 kg bei 50 kg schrift in frage. in geldwert umgerechnet, ergibt das eine ersparte summe von 2,25 mark bei einer gesamtsumme von 225 mark . es dürfte nicht unbekannt sein, daß in ländern spanischer und portugiesischer zunge noch viel mit kapitälchen gearbeitet wird . die verhältnismäßig kleine gruppe der deutschsprachigen wird wohl kaum in der lage sein, diese sprachlichen gewohnheiten im sinne der einalphabetschrift abzuändern . noch eine frage: was wird mit den in den druckereien vorhandenen materialien ? wir haben eine große anzahl ausgesprochener versalschriften . sollte das jetzt eventuell überflüssig werdende material ausgemerzt werden, so würden die althandlungen aufleben wie zur inflation unseligen angedenkens . ich glaube auch, bei der gleichgültigkeit der buchdruckereibesitzer wird es nicht dazu kammen . wenn jemand etwas in kleinschrift haben will, wird er es bekommen; aber auch nicht mehr . denn jeder unternehmer ist für den fortschritt, wenn er nicht sein geld kostet . ich brauche da nur die normalhöhe und normallinie des schriftmaterials anzuführen . heute, ungeführ 25 jahre nach ihrer einführung, findet man noch recht viele druckereien, die mit vorsintflutlichen höhen eingerichtet sind . eigene höhe und eigener kegel bedeutet eine schriftverteuerung um 20 v. h.; hinzu kommt noch das durch den höheren kegel bedingte mehrgewicht an schrift . die eventuellen ersparnisse durch die kleinschrift erscheinen gegenüber diesen ersparnissen zwergenhaft. leitende stellen solcher druckereien, die teilweise mit der kleinschrift liebäugeln, sind nicht für eine genormte schrifthöhe zu bewegen, weil das mit größeren geldausgaben verbunden ist . jetzt ist die kleinschrift noch graue theorie; sollte es aber ernst werden, wird da der geldbeutel nicht eine große rolle spielen ? ich sehe vorerst für die druckwirtschaft keinen nennbaren vorteil . im arbeitsprozeß wird keine zeit gespart, das benötigte schriftquantum wird nicht wesentlich herabgesetzt, und von den vorhandenen matrizen für schriften und setzmaschinen darf keine fehlen, da sie für die fremden sprachen benötigt werden . bei der schriftherstellung sowie bei der herstellung der setzmaschinen-matrizen wird nichts eingespart, folglich kann auch bei den fertigfabrikaten keine verbilligung eintreten . wir dürfen bei der kleinschrift nie das ausland aus dem auge lassen . trotzdem bin ich für kleinschreibung . der duden ist in puncto groß- oder kleinschreibung voller widersprüche . warum wird da nicht gleich reiner tisch gemacht ? so wie vor dem kriege aus besondern anlässen viele deutsche ihren piepmatz angebaumelt erhielten, so wurde in der jahrhunderte währenden entwicklung der deutschen sprache eine wortgruppe nach der andern durch einen großen anfangsbuchstaben ausgezeichnet . warum machen wir damit nicht schluß ? kleinschrift in dem sinne, wie sie von den uns umgebenden völkern angewendet wird, wäre für uns das gegebene. dieser schritt wäre schon gewaltig, hätte aber nicht die großen nachteile wie eine restlose ausmerzung der großbuchstaben . es brauchte da nur der gießzettel in diesem sinne etwas geändertzu werden . dagegen würde das in den druckereien vorhandene material weiter verwendet werden können . für schule und beruf wäre diese lösung ein großer vorteil, viele fehlerquellen würden verschwinden .

für uns buchdrucker bekommt die kleinschrift noch geltung als wirkungsvolles ausdrucksmittel . es wird auch dagegen sehr sturm gelaufen . hat sidi aber zur zeit des blocksatzes jemand aufgeregt, als längere satzgruppen nur im versalsatz hergestellt wurden? betrachten wir jemand beim lesen einer solchen satzgruppe: wenn wir nicht genau wissen, was er tut, so können wir beinahe annehmen, daß er sich bei der entzifferung eines sanskritwerkes befindet . würden wir das beim lesen desselben textes in kleinschrift auch feststellen können ? ich glaube, nein . man hört auch öfters den einwand: der gesamteindruck einer drucksache in kleinschrift wirke für das auge fremd oder auch »so eigenartig« . an fremde sachen kann man sich gewöhnen, wenn sie zugleich auch praktisch sind (siehe bubikopf) . eigenart in einer drucksache war noch nie ein nachteil . eigenart kann aber auch gewohnheit werden . hoffen wir, daß die kleinschrift, wie sie bei unseren nachbarvölkern zur anwendung gelangt, auch bei uns zur gewohnheit wird .