die kleinschriftbewegung

typographische mitteilungen, zeitschrift des bildungsverbandes der deutschen buchdrucker, berlin, 28. jahrgang, mai 1931, seite 134
karl franke

typogestaltung und kleinschrift

diese beiden worte drücken in der berufssprache etwas fertiges, etwas vollkommenes aus . typogestaltung ist richtige typographie, die immer fertige arbeit sein wird, an der man nichts wegnehmen und nichts hinzufügen darf . sie ist individuelle arbeit nach neuen grundsätzen und muß vollkommen sein. das drängen nach der vollkommenheit ist ein stiller, aber heftiger kampf . alle gestaltenden kräfte auch der anderen berufe führen ihn, um die theoretische erkenntnis in die praktische nutzanwendung umzuwandeln . in der hauptsache geht dieser kampf gegen eine gewisse konservative schläfrigkeit, die in allen gestaltenden berufen auf die entwicklung der zweckform und ihre schönheit hemmend wirkt . die neue typographie hat sich ganz besonders gegen ein geistesphlegma zu wehren, das von traditioneller gewohnheit unterstützt wird und schon seit jeher gegen alles auch nur scheinbar neue großes mißtrauen hegt . der fortschrittliche geist als feind der tradition wird auch hier helfen, die neue typographie ganz und lebendig in die neue zeit hineinzustellen. es geht langsam, aber sicher vorwärts. – durch bildungsarbeit in wort und schrift weiß schon der größte teil unserer fachleute, daß die typographie bemüht ist, eine formal neuzeitliche, wahrheit ausdrückende klarheit zu erreichen, die der behaglichen ordnung dienen soll . typographische grundsätze und intensive denkarbeit lassen schon heute wirklich anständige arbeit entstehen .

in den kreisen der auftraggeber ist man über die neue typographie noch schlecht unterrichtet . größere druckereien könnten durch herausgabe instruktiver drucksachen aufklärung geben und mit diesem dienst am kunden eine wertvolle und wirksame werbung hinausgehen lassen . es geht in der neuen typographie nicht darum, eine neue modische setzart anzuwenden, weil das auge etwas andres zu sehen wünscht . es geht um die allgemeine einführung einer typographie, die durch übersichtliche anordnung ihrer elemente eine wirkliche ordnung schafft und dadurch in allen damit zusammenhingenden fragen wesentliche vorteile bietet . – eine höhere neue drucksachenkultur wirkt erzieherisch auf jeden; sie hat die kraft, durch ihre sachliche schönheit einen starken einfluß auszuüben und aus nörglern zeitfreundliche menschen zu machen .

die kleinschrift ist nichts neues . – neu und erfrischend wirkt sie in der sogenannten neuen typographie, für deren gestaltung sie von besonderer bedeutung ist . wenn man von neuer typographie spricht, so sollte man immer nur die neue konstruktive setzart in absoluter kleinschrift meinen . und dort ist das nur bedingt richtig . die neue typographie wird erst dann ewig neu sein, wenn eine neue orthographie jede schreibtechnische kompliziertheit ausschaltet .

daß die großbuchstaben als störend empfunden werden, beweisen die schrifterzeugnisse, bei denen durch verkleinerung der großbuchstabenfiguren ein optischer ausgleich erzielt wurde; das ist nur behelf, nichts vollkommenes. – und warum muß man zwei alphabete gebrauchen, wenn das druckwort in kleinschrift genau dieselbe funktion ausübt ? die großbuchstaben einer satzseite wirken wie steine im gartenland . der fortschrittliche geist der neuzeit wird sie ausharken, damit sie entwicklung und wachstum nicht mehr hindern . kleinschrift ist ordnung, und ordnung tut wohl .